Migrationsgeschichte mit Tönen.

Der akustische Blick auf 150 Jahre Zuwanderung nach Vorarlberg

 

Das österreichische Bundesland Vorarlberg bietet seit der im ausgehenden 19. Jahrhundert massiv greifenden Industrialisierung einen offenen Arbeitsmarkt für Menschen aller sozialen Schichten.

Nach dem viel zitierten Wort von Max Frisch hat man „Arbeitskräfte gerufen“ und es sind „Menschen“ gekommen und geblieben.  Diesen Menschen mit ihrem klingenden, kulturellen Gedächtnis ist www.migraton.at auf der Spur und verknüpft hier die Fakten mit vorhandenen Tönen.

 

Meilensteine der Zuwanderung. Fakten und Töne

Mit Text-Beiträgen von Markus Barnay, Evelyn Fink-Mennel und Meinrad Pichler

 

  1. Deutsch- und italienischsprachige Zuwanderung aus den Kronländern der damaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie von 1850/1870–1918;
  2. Zwischenkriegszeit
  3. Südtiroler Optanten ab 1939;
  4. Fremd- und Zwangsarbeiter während des 2. Weltkrieges;
  5. Innerösterreichische Zuwanderung (= Zuzug aus anderen Österreichischen Bundesländern) der Zwischenkriegszeit und besonders nach 1945;
  6. Zuwanderung aus der Türkei ab 1964;
  7. Zuwanderung ab 1966 aus dem damaligen Jugoslawien und in einer zweiten Welle in Folge des Bürgerkrieges in Bosnien der 1990er Jahre;
  8. Zuwanderung von den Philippinen ab 1971;
  9. Zuwanderung ungarischer MusikerInnen ab den 1970er Jahren;
  10. Zuwanderung aus Südamerika ab Mitte der 1980er Jahre;
  11. Einzelwanderungen

 

  1. Deutsch- und fremdsprachige Zuwanderung aus Kronländern der österreichisch-ungarischen Monarchie

Kronländer

– Deutschsprachige Zuwanderung: > 1) Böhmen / Mähren  und andere

– Fremdsprachige Zuwanderung > 3) Trentino

  • Böhmen / Mähren (heute Tschechien)

 

(Meinrad Pichler) In Vorarlberg gab es zwei verschiedene Traditionslinien, welche die musikalische Begabung der Böhmen begründeten. Da waren einmal die überdurchschnittlich vielen Militärkapellmeister, die den besonderen Ruf der böhmischen Musiker in alle Reichsteile trugen. Zum anderen wurden in allen Vorarlberger Städten zwischen 1850 und 1890 Musikgesellschaften gegründet, die Musikschulen initiierten oder betrieben und neben eigenen Konzerten mit Hilfe zugeholter Musiker auch große Werke aufführten. Im kleinstädtischen Vorarlberg des 19. Jahrhunderts wünschte man sich zur Reputation anerkannte Musiker, im Alltag aber sollten sie immer auch mitreißende Musikanten und erfolgreiche Musiklehrer sein. Eben alles in allem Böhmische Musikanten.

 

Neben den deutschsprachigen Böhmen ließen sich ab etwa 1880 auch andere deutschsprachige Zuwanderer aus den Kronländern der österreichisch-ungarischen Monarchie in Vorarlberg nieder. Sie arbeiteten vor allem als Handwerker, Beamte sowie Post- und Bahnbedienstete.

 

  • Trentino (heute Italien)

(Evelyn Fink-Mennel) Die Zuwanderung von Frauen und Männern aus dem Trentino nach Vorarlberg hängt mit der Industrialisierung der Region zusammen und fällt vornehmlich in die Zeit von 1870 bis 1914. Tätigkeitsfelder waren die Textilindustrie (ab 1870) und das Baugewerbe ab 1880 (Eisenbahnnetz, Tunnelarbeiten, Flussregulierungen). Besonders die Textilindustrie lockt zahllose Frauen aus dem Trentino an. Angesichts des geringen Gehalts, das die Zuwandererinnen im Vergleich zu den deutschsprachigen Kolleginnen erhalten, werden sie in Vorarlberg mit offenen Armen empfangen. (Kostner / Vinati 2010: 17f). Zur Zeit der industriellen Einwanderung genossen die Italiener kein hohes Ansehen, oft wurden sie abwertend mit Schimpfworten „Tschinggeler“, „Wälsche“ bedacht. Zur Zeit der Einwanderung vermieden Eltern, mit ihren Kindern in der Muttersprache italienisch zu sprechen, um sie vor öffentlicher Diskriminierung zu schützen. Dieser Sprachtransfer hat erst wieder zwischen Großmüttern und Enkeln im privaten häuslichen Bereich vollzogen.

Ein Wälscher zu sein, bedeutet damals, der unteren Gesellschaftsschicht anzugehören. Heute ist klar, dass die Trentiner wesentlich mitgeholfen habe, die Region Vorarlberg mitaufzubauen.

Als die billigen, italienischsprachigen Arbeitskräfte (Gastarbeiter) nach Vorarlberg kamen, wurde ihrer Volksmusik kaum Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl sie als sing- und musikbegabt bekannt waren, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts die legendäre Gruppe „Spagolla-Musik“ aus Bürs. Auch diese Familie stammte aus dem Valsugana und war über drei aufeinanderfolgende Generationen tanzmusikalisch aktiv (Kostner / Vinati 2010: 70). Um die Jahrhundertwende (1900) haben sich die Einheimischen in Spottliedern über die Zuwanderer lustig gemacht. Es wurden Texte in gebrochenem Deutsch (Kauderwelsch) verfasst, um sich über die sprachliche Inkompetenz der Zuwanderer lustig zu machen. Die ethnischen Rollen wurden dabei spielerisch vertauscht und den Trentinern Inhalte in den Mund gelegt, die Vorarlberger Ängste artikulierten. Um den Spott zielsicher zu platzieren, wurden die Texte unter anderem Liedmelodien unterlegt, die auch im Trentino bekannt und heute noch gesungen werden (Fink-Mennel 2006). Als Spottlieder sind sie schon früh in den Vorarlberger Volksgesang eingegangen, was ihnen auch einen Eintrag ins Vorarlberger Liederbuch von 1982 gesichert hat. Dadurch sind sie auch zum volkskundlichen Thema geworden. Darin wurden auch sämtliche Vorurteile und Klischees, die die deutschsprachige Mehrheit den italienischen Arbeitskräften gegenüber hatte und ihnen zusprach, verarbeitet (Raufbolde, Saufbolde, Faulenzer, usw.). Die gesellschaftlichen Spannungen zwischen Mehrheit und Minderheit werden darin deutlich. Dass soziale Spannungen in Liedern verarbeitet werden, ist kein neues Phänomen, bemerkenswert ist aber, dass genau das Spottlied „Wir kommen aus Trentino“  vom Komitee „Trentiner und ihre Nachkommen in Vorarlberg“ als „Hymne“ dieser Zuwanderergruppe auserkoren wurde.

Die „Spottlieder“ sind aber nur ein Teil des Repertoires, und in Feldforschungen in den letzten 10 Jahren konnte das Repertoire durch Lieder aus dem häuslichen Bereich, traditionelle italienische Lieder und Chorlieder aus dem kulturellen Gedächtnis dokumentiert werden konnte. Diese in häuslichen Runden und organisiertem Chorgesang gesungen Lieder repräsentieren die Identifikation mit der alten Heimat. Das mit Abstand bedeutendste Lied ist dabei La Valsugana“, das im Text auf das Herkunftsgebiet der meisten Trentiner Einwanderer im Bezirk Bludenz verweist. Weiters konnten in Feldforschungen Gebete, Kinderreime und Wiegenlieder dokumentiert werden, in denen die italienische Sprache bzw. lokale trentinische Dialekte überlebt haben. Im „Baby-talk“ zwischen Großmüttern und ihren Enkelkindern wurde Weniges, aber offenbar Tragfähiges aufbewahrt. Ein Klang, ein Gefühl, eine Herkunft (Gerlinde Haid / Ursula Hemetek in Kostner / Vinati 2010).

 

Reinhard Johler: „Volkslieder als kulturhistorische Quellen – Die ,Italiener-Lieder‘ in Vorarlberg“, in: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes (35/1986), S. 36–61.

Barbara Kostner / Paolo Vinati: Musikalische Identität der Trentiner Nachkommen in Vorarlberg / Identità musicale die discendenti trentini in Vorarlberg (Vesti del ricordo), Trento 2010.

Evelyn Fink-Mennel: „Zur Melodienherkunft der Vorarlberger Italienerlieder (um 1900)“, in: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes (55/2006), S. 91–101.

Roland Franzoi im Interview (Interviewprotokoll Evelyn Fink, 1.9.2000 in Bregenz).

 

  1. Zwischenkriegszeit

(Markus Barnay) Nach 1918 waren es Bauarbeiter aus anderen österreichischen Bundesländern, die auf den Kraftwerksbaustellen der ÖBB (Spullersee) und der Vorarlberger Illwerke (Silvretta) arbeiteten. Auch von ihnen blieben viele in Vorarlberg.

 

  1. Südtiroler Optanten ab 1939

(Markus Barnay) Geblieben sind auch die meisten der sogenannten „Optanten“ aus Südtirol, die sich aufgrund des Hitler-Mussolini-Abkommens von 1939 entscheiden mussten, ob sie unter den Bedingungen des italienischen Faschismus in Südtirol bleiben oder in das nationalsozialistische Deutsche Reich auswandern wollen. Im Rahmen der sogenannten „Option“ wanderten 75.000 EinwohnerInnen aus Südtirol aus. 11.000 von ihnen wurden in eilends errichteten Wohnsiedlungen in Vorarlberg untergebracht. Ihre „Umsiedlung“ wurde von den Vorarlberger Textilindustriellen durchaus begrüßt, hatten sie doch aufgrund der massenhaften Einziehungen in die Wehrmacht einen zunehmenden Arbeitskräftemangel beklagt. Bei der einheimischen Bevölkerung stießen die Südtiroler auf weniger freundliche Aufnahme als es die offizielle Propaganda suggerierte – sie waren „vielfältigen Vorurteilen, Abgrenzungen und Diskriminierungen ausgesetzt“. Was für die Südtiroler einerseits ein Nachteil auf dem Weg zu einer gesellschaftlichen Integration war – die Ghettoisierung in eigenen Siedlungen –, half ihnen andererseits, ein gewisses Maß an kultureller Identität zu bewahren. Die 1945 in Bregenz gegründete Spiel- und Trachtengruppe „Rosengarten“, die Sängerrunde „Die Vogelweider“ in Dornbirn und andere Kulturvereine sind denn auch bis heute aktiv.

(Evelyn Fink-Mennel) Die Eltern von Vera Reheis (geb. 1959 in Bregenz) sind durch die „Option“ nach Vorarlberg gekommen und haben sich in Vorarlberg kennengelernt. Ihr Liedrepertoire zeigt die Bedeutung von Liedern in der Erinnerungskultur. Gemeinsam mit ihrem Sohn Daniel singt Vera neben Vorarlberger Volksliedern auch Südtiroler und italienische Lieder.

Von ihrer Schwiegermutter hat sie das Lied „Santa Lucia“  gelernt. Die besondere Bedeutung des Liedes in der Familienüberlieferung entschlüsselt sich in Veras Erzählung über die während der Umsiedlung nach Vorarlberg erlittenen Narben ihrer Schwiegermutter Rosa Reheis (geb. Micheli, Kaltern 1921–Bregenz 2009). Frau Micheli musste in Innsbruck erleben, wie der Vorname ihres Sohnes Luciano Micheli ungefragt eingedeutscht wurde in Georg Micheli. Ein italienischer Vorname war damals in Vorarlberg nicht erlaubt.

„Dort wo der Ortler steht“: Südtiroler Lieder haben für Vera eine besondere Bedeutung. Zeitlebens pflegte Veras Vater den Südtiroler Dialekt und wollte auch, dass seine Kinder diesen in Vorarlberg sprechen. Das Lied erinnert Vera an den Südtiroler Heimatort ihres Vaters, er stammt aus Mals im Südtiroler Vinschgau. Der Ort ist von Bergen umgeben: Von den Ötztaler Alpen im Osten, der Ortlergruppe im Süden und der Sesvennagruppe im Westen. Der „Ortler“ ist der Hausberg vom Rittental.

  1. Kein Eintrag.

 

  1. Innerösterreichische Zuwanderung (= Zuzug aus anderen Österreichischen Bundesländern) der Zwischenkriegszeit und besonders nach 1945

(Markus Barnay) Vorarlbergs Wirtschaft überstand den Zweiten Weltkrieg relativ unbeschädigt und konnte nach 1945 von den Früchten der Zwangsarbeit profitieren: Die Industrie konnte fast bruchlos weiterarbeiten, die großen Kraftwerke lieferten Strom und (Export-)Einnahmen. Entsprechend dringend wurden neue Arbeitskräfte gesucht, entsprechend attraktiv war das Land für Bewohner weniger privilegierter Regionen: In den 1950er und 1960er Jahren ließen sich viele ZuwandererInnen aus Österreichischen Bundesländern (Innerösterreich) nieder, so aus Kärnten, der Steiermark (Link Ton bzw. Fenster Steirer) und Oberösterreich (Ton Kallinger). Auch diese Arbeitsmigranten schlossen sich zum Teil in Vereinen zusammen, um der Ausgrenzung aus den Freizeitmöglichkeiten der Einheimischen zu entgehen (die „Landsmannschaften der Kärntner und Steirer in Vorarlberg“ (Foto Link) dienten vor allem der Kulturpflege und dem sozialen Zusammenhalt, dazu kamen bald eigene Kulturvereine wie die „Kärntner Grenzlandsänger“ in Dornbirn. Im Vereinsheim der Steirer in Vorarlberg spielt heute noch die Musikgruppe der Steirer in Vorarlberg auf). Besonders engagiert für interkulturelle Begegnungen in Vorarlberg hat sich der Oberösterreicher Hans Kallinger (o-Ton), der 1959 als Dekorationsmaler nach Bregenz kam. Er hat nicht nur den Verein der Oberösterreicher in Vorarlberg gegründet, sondern auch 1991 das „Interkulturelle Komitee Vorarlberg“, dessen Ehrenobmann er mittlerweile ist. Es war ihm damals ein Bedürfnis, eine etwas theorielastige Integrationsinitiative des Landes durch das Organisieren konkreter Begegnungen in die Praxis umzusetzen. Aushängeschild in der Veranstaltungstätigkeit des Komitees ist das interkulturelle Fest „Unser aller Ländle“.

Ton: Hans Kallinger, Bregenz „Vorarlberg ist ein Zuwandererland“

 

Abbildung: Klubheim der Landsmannschaft der Kärntner und Steirer in Vorarlberg

 

  1. Zuwanderung aus der Türkei ab 1964

Infolge der boomenden Textil- und Metallindustrie wurden in Vorarlberg vor allem ungelernte – und daher billige – Arbeitskräfte benötigt. Im Zuge des mit der Türkei abgeschlossenen Anwerbeabkommens wurde aktiv um Zuwanderer geworben. Ab 1964 kamen viele Arbeiter aus der Türkei. Ursprünglich nur als Aufenthalt auf Zeit gedacht (Gastarbeiter), Aber viele haben hier Familien gegründet und sind geblieben.

Aydin Ballı kommt 1975 als 10jähriger mit den Eltern nach Oberösterreich, 1978 zieht die Familie nach Vorarlberg aufgrund einer Arbeitsstelle der Eltern bei der Textilfirma Otten. „Damals gab es kein Wörterbuch, mittels Musik konnte ich mich auch mit Nicht-türkisch-sprechenden unterhalten. Mein Großvater war in der Türkei Saz-Instrumentenbauer.“ Heute unterrichtet Aydin das Instrument Saz (Langhalslaute, wichtigste Instrumententyp der türkischen Musik) und Ud an 2 Vorarlberger Musikschulen. Meist findet türkische Musikpraxis im internen Rahmen statt (man bleibt unter sich).  Aydin ist dagegen auffallend gut mit der Vorarlberger Musikszene vernetzt, z.B. seit 1992mit John Gillard, einem ebenfalls 1978 nach Vorarlberg gekommenen und gebliebenen Folk-Musiker aus England.

 

  1. Zuwanderung ab 1966 aus dem ehemaligen Jugoslawien und in einer zweiten Welle in Folge des Bürgerkrieges der 1990er Jahre,

Das Arbeitsabkommen mit dem damaligen Jugoslawien trat ab 1966 in Kraft und brachte viele Frauen wie Männer nach Vorarlberg. Damals noch waren Zuwanderer aus Bosnien, Kroatien, Serbien, Slowenien unter dem Namen Jugoslawien vereint. Eine vielfältige Musikpraxis hat sich auch in Vorarlberg entwickelt. 1978 wird das heute noch bekannte Ensemble Kroatischer Musikverein Tamburica gegründet. Damals spielte man vor allem populäre dalmatinische Volkslieder, um den Landsleuten fern der Heimat kroatische Volksmusik singend und spielend anzubieten, heute hat sich das Repertoire ausgeweitet. Die Signation für die in den 1980er Jahren im Regionalradio ausgestrahlte „Sendung für die Gastarbeiter in Vorarlberg“ wurde von Tamburica-Instrumenten gespielt. Kinder damaliger Zuwanderer sind heute bekannte Persönlichkeiten der Musikszene. Goran Kovačević kommt 1971 in Schaffhausen (Schweiz) zur Welt. Seinen ersten Akkordeon-Unterricht erfährt er mit 6 Jahren bei Mutter Mara, einer ausgebildeten Primarschullehrerin. Gorans Eltern sind 1968 als Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Ostschweiz ausgewandert, wo, wie damals allgemein in Mitteleuropa,  Arbeitskräfte gesucht wurden. Neben musikalischen Aktivitäten hat sich in Vorarlberg auch eine „KOLO Tanzgruppe“ etabliert, ein Slowenischer Chor ist mittlerweile nicht mehr aktiv. Bosnische Musik (Link Bosnien) wird uns heute v.a. durch die politischen Flüchtlinge in Folge des Bürgerkrieges der 1990er Jahre bekannt. Über Vermittlung der Bosnischen Trachtengruppe „MOST“ in Vorarlberg wurden wir auf Sänger aufmerksam, die die typischen städtischen bosnischen Lieder namens „Sevdalinke“ (Link Musik Ramiz Brkic und Rasim) interpretieren. Diese Liedgattung ist insbesondere in der Diaspora-Situation der Bosnier nach ihrer Vertreibung infolge des Bürgerkrieges zu einem wichtigen Identitätssymbol geworden.

 

  1. Philippinen ab 1970er

Nicht alle, aber viele der nach Vorarlberg migrierten Personen aus den Philippinen sind als ausgebildetes Fachpersonal für Krankenpflege und Geburtshilfe nach Vorarlberg gekommen. Diese Migrationsbewegung von Pflegepersonal von den Philippinen hat, österreichweit betrachtet, in den 1960er Jahren seinen Anfang genommen, nach Vorarlberg kommt

Philippinisches Fachpersonal in die Spitäler und Altenheime des Landes ab den 1970er Jahren. Motor und Vermittler ist ein auf den Philippinen tätiger Missionar Südtiroler Abstammung, Eugenio Daberto. Heute leben in Vorarlberg ca. 600 Landsleute, vor allem Frauen. Viele von ihnen haben einen Vorarlberger geheiratet. Im Philippinischen Chor Vorarlberg pflegen ca. 10 Frauen seit 2002 die musikalische Brücke nach Hause.

 

  1. Ungarn ab 1970er

 

 

Mit Beginn der 1970er Jahre und der Ausweitung der Musikschulen in ländliche Gebiete kommt es zur Zuwanderung ungarischstämmiger Musikschullehrender. Besonders die Gründung der Musikschule Mittleres Rheintal im Jahre 1976 forciert diese Zuwanderung. Fachkräftemangel in Vorarlberg und Perspektivenlosigkeit mit diskreditierenden Arbeitsverhältnisse im realen Sozialismus in Ungarn sind Bedingungen dieser Zuwanderung.  In den 1970er bis 1990er Jahren ist ein jährlicher Zuzug von 1–6 bestqualifizierten ungarischen MusikerInnen mit Hochschulabschluss an Vorarlberger Musikschulen zu verzeichnen. Vor allem waren es Lehrende für das Streicher- und Klavierfach.

Für die Menschen, die im Zuge des ungarischen 1956er Aufstandes nach Vorarlberg kamen, spielt die  musikalische Praxis kaum eine Rolle. Die Menschen dieser Zuwanderergeneration beschäftigten sich bevorzugt mit literarischen Werken.

 

Evelyn Fink-Mennel, Gerlinde Haid, Ursula Hemetek und Hande Sağlam: Einwanderer-Kulturen in Vorarlberg. Ein musikalisches Feldforschungsprojekt, in: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes (2010/59), S. 304.

Evelyn Fink-Mennel, „,Hegedü‘ in Vorarlberg. Zuwanderung ungarischstämmiger Schlüsselkräfte in das expandierende Musikschulwesen Vorarlbergs ab Mitte der 1970er Jahre“, in: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes (2014/63), S. 134–144.

 

  1. Lateinamerika

Ab Mitte der 1980er Jahre erfährt die Straßenmusikszene im Bodenseeraum eine Belebung. Musiker in Ponchos stehen an wichtigen Knotenpunkten und bringen Musik aus Südamerika nach Europa. Jacinto Peralta aus Peru kommt mit der sechsköpfigen Band „LatinoAmericanto“ für eine zehntägige Tournee nach Europa. Die in Ponchos auftretende Gruppe wurde in Peru von einer Schweizerin entdeckt und schließlich gemanagt (es folgten zahlreiche CD-Produktionen, die in der Schweiz bzw. in Liechtenstein entstanden). Das Ensemble ist nach dieser ersten  Kurztournee nicht heimgereist. Die Musiker haben eigeninitiativ verlängert und sind schließlich sieben Monate durch Europa getourt. Der Boom für die die Musik der Anden ist mit Ende der 1990er Jahre abgeflacht. 3 Musiker der Gruppe sind geblieben.

 

Auch heute verzeichnet die Vorarlberger Musikszene einige südamerikanische MusikerInnen. Vor allem sind es Studierende aus Kolumbien und Venezuela, die eine Musiklehrerausbildung am Vorarlberger Landeskonservatorium absolvieren.

  1. K)

(Markus Barnay) Andere ZuwandererInnen kamen nicht in Gruppen, sondern einzeln ins Land, doch bildeten sich auch daraus zumindest informelle Zusammenschlüsse oder kleinere communities, die entsprechende kulturelle Traditionen pflegen – eine Liste der aktiven Gruppen und Vereine findet sich auf der Homepage des Interkulturellen Komitees Vorarlberg, das regelmäßig so genannte „Zuwandererfeste“ veranstaltet.

Und natürlich wirkten sich auch die weltpolitischen Ereignisse auf die Bevölkerung in Vorarlberg aus: Zwischen 1956 und heute siedelten sich hier unter anderem Flüchtlinge aus Ungarn, Vietnam, Bosnien, dem Kosovo, Tschetschenien und zuletzt aus Syrien, Afghanistan und dem Irak an. Und auch die MusikerInnen aus dem Iran, die sich nach der islamischen Revolution 1978 in Europa – und eben auch in Vorarlberg – niederließen, waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen: Weil im Iran alle Kunstorganisationen aufgelöst und die Orchester und Musikschulen geschlossen wurden, verloren professionelle Musiker dort ihre Existenzgrundlage.

Andere kamen der Liebe wegen nach Vorarlberg, oder fanden hier den geeigneten Arbeitsplatz.

Musik aus England, Griechenland, Irland, Mexiko, Senegal, Ukraine, Venezuela beleben derzeit das Tonarchiv.